In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, der Zeit des ausklingenden Rokoko und des Klassizismus, treffen wir in Franken auf eine Reihe hervorragender kalligraphischer Werke. Die Reihe der letzten großen Schreibmeister eröffnet Johann Heinrich Zang, Kantor in Mainstockheim bei Kitzingen. Zang war eine außergewöhnlich vielseitige Persönlichkeit, deren erste Würdigung wir schon 1808 Professor Dr. Johann Barthel von Siebold im ersten Jahrgang seiner »Artistisch-Literarischen Blätter von und für Franken«((Erschienen als »Begleitungs-Schrift zur fränkischen Chronik« (= Bonaventura Andres: »Neue Fränkische Chronik«, Drittes Jahr, Würzburg, 1808, Würzburg bei Carl Philipp Bonitas). Der Bericht über Zang findet sich in dem in Fortsetzungen erschienenen Aufsatz: »Würzburgs Schriftsteller, Künstler und Sammlungen«, S. 135/37 in Nr. XXIII, Würzburg, den 18. Juni 1808. Leider ist die angekündigte Fortsetzung nicht mehr erschienen, da sowohl die Neue Fränkische Chronik wie die Artistisch-Literarischen Blätter ihr Erscheinen mit dem Jahrgang 1808 einstellten.)) verdanken. Von Siebold gibt einen kurzen Lebenslauf des Künstlers und berichtet eingehend über sein künstlerisches und schriftstellerisches Werk. Nach von Siebolds Angaben stammte Johann Heinrich Zang aus Zella St. Blasii (heute: Zella-Mehlis) in Thüringen, wo er am 15. April 1733 als Sohn eines Offiziers geboren wurde((Der Vater Johann Georg Zang, ehemaliger königl. ungarischer Oberliutenant im Regiment Heister. Zang hatte sich in Zella niedergelassen und die Bürgerstochter Rosina Christina Schmidt geheiratet.)). In Leipzig war Zang schon in sehr jungen Jahren Schüler von Sebastian Bach; 1749 wurde er wegen seiner guten Handschrift Kanzlist in der Abtei Banz, gleichzeitig versah er auch die Stelle eines Organisten in Hohenstein (Gemeinde Schafhof, Landkreis Coburg) bei Coburg; 1751 wurde er Kantor in Walsdorf bei Bamberg, 1752 übersiedelte er nach Mainstockheim, wo er über 50 Jahre als Kantor, Organist und Schulmeister segensreich wirkte. Zang hat ein besonders schönes und vielseitiges Schreibmeisterbuch hinterlassen. Seine Anweisungen zum Erlernen der Schönschreibkunst wenden sich an die Eltern, die Kinder und auch die fortgeschrittenen Schüler.
Das Buch trägt in einer kalligraphischen Schnörkelumrahmung den Titel: »Calligraphia / oder / Selbstlehrende / Schönschreibkunst. / Herausgegeben von / Johann Heinrich Zang, Cantor / in Maynstockheim bey Würzburg« Zang baut in seiner Anleitung den Unterricht systematisch zum Selbstlernen auf. Von den bekannten Schreibmeisterbüchern dieser Zeit ist das des Cantors Zang das umfangreichste. Es umfaßt 38 Blätter, davon 7 Falttafeln. Die Bayerische Staatsbibliothek München besitzt das einzige vollständig erhaltene Exemplar dieses Lehrbuches((Sign. Chalc. 164. Ein weiteres Exemplar, jedoch unvollständig – es fehlen die Falttafeln – besitzt die Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg: Sign. W 1011 m quer – 8°. Im letzten Jahr erwarb die Universitätsbibliothek in Würzburg aus dem Kunsthandel ein Exemplar. Vgl. Doede »Bibliographie deutscher Schreibmeisterbücher…« [149], S. 92. Nach einem Vermerk im Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek München wird als Druckort »1766 Hildburghausen Hanisch« angegeben. Anmerkung der Redaktion: Die Gemeinde Mainstockheim erwarb im Jahre 1998 ein weiteres, vollständiges, Exemplar aus dem Kunsthandel. Dieses wurde für die Wiedergabe der folgenden Seiten verwendet.)). Zang hat dieses Buch nicht nur vefaßt, sondern auch selbst gestochen, wie vielfache Signaturen »Zang scrips. et sculps.« erweisen. Fast jedes Blatt ist mit Zugwerkumrahmung und symbolischen Figuren geschmückt. Im einzelnen werden Anweisungen und Alphabete der Kurent-, Kursiv-, Kanzlei- und Frakturschrift geboten, ferner Initialalphabete und Zahlenreihen, dann bildliche Darstellungen und auf den Falttafeln Urkundenmuster. Zang war ein durchaus ernst zu nehmender Lehrer, dem aber auch der Sinn für Humor nicht abging. Dies zeigt sich bei den Mustern der Urkunden in den erfundenen Namen. So treten z. B. auf: der »Hof- und Feldtrompeter Blasius Clarini« der »Revierjäger Wolf Schiessgern zu Hirschfeld« der »Instrument- und Orgelmacher zu Pfeifersheim« und der »Kauf- und Handelsmann Leo Pard«. Das Lehrbuch Zangs steckt so voller Schönheiten und Kunstfertigkeit, daß es wirklich verdient, so ausführlich hier erwähnt zu werden. Wo und von wem das Werk Zangs gedruckt wurde, ließ sich bis jetzt nicht feststellen. Die Datierung Doedes auf die Zeit um 1740 ist nicht haltbar. Das Wappen des Fürstbischofs Adam Friedrich von Seinsheim, der von 1755 bis 1779 regierte, auf einem der Urkundenformate weist auf die Zeit der Regierung dieses Fürstbischofs hin; denn das Werk setzt einen reifen Lehrer und einen geschulten Künstler voraus, was für Johann Heinrich Zang zutrifft. Nach von Siebold erschien diese »selbstlehrende Kalligraphie« im Jahre 1762.
1792 erwähnt Georg Fr. Kasimir von Schad Zang in seiner brandenburgischen Pinakothek((»Versuch einer brandenburgischen Pinacothek oder Bildergallerie … der beiden Fürstenthümer in Franken Anspach und Bayreuth«, Nürnberg und Leipzig 1792, S. 216)) als Schulmeister und »zugleich mittelmäßigen Kupferstecher«; er nennt von ihm die Neuauflage eines Kupferstich-Prospektes der Stadt Kitzingen aus dem Jahre 1705((Es handelt sich um die Stadtansicht von Laurenz Schmid. 1770 fertigte Zang die neue Kupferplatte. Die Herausgabe der Ansicht besorgte Johann Valentin Schmid, der Sohn des Laurenz.)) und einen Prospekt des 1555 abgebrannten Schlosses Dachsbach. Thieme-Becker übernimmt Zang ohne Angabe des Vornamens als »Vedutenstecher« mit der falschen Datierung 1705((Thieme-Becker, 36. Bd., Leipzig 1947, S. 406)). Zang war dreimal verheiratet; seine dritte Frau starb am 8. August 1800 in Mainstockheim. Bald nach dem Tode seiner Frau hat er wohl sein Amt als Lehrer und Kantor aufgegeben; an einer Stelle heißt es: »weil er auf Abwegen gegangen war«; dabei können seine vielseitige Korrespondenz, seine Schriftstellerei oder seine Reisetätigkeit gemeint sein. Sicher zeigt sich, daß sein stets tätiger Geist im Rahmen der einfachen Kantorstelle nicht ausgefüllt war. Seiner vielseitigen Feder verdanken wir noch ein Werk über die Büttner- und Küferlehre, sowie über den Orgelbau. Die Büttner- und Küferlehre erlebte drei Auflagen. Die zweite und dritte Auflage des Werkes konnte ich selbst einsehen((Titel der 1. Auflage: »Vollkommene Büttner- und Küferlehre«, herausgegeben von einer Gesellschaft zur Förderung der Künste. Vorrede unterschrieben von Johann Heinrich Zang. Erschienen 1790 im eigenen Verlag (Mainstockheim). – 2. Auflage: »Der vollkommene Büttner oder Küfer« = Des Kunst- und Handwerksbuchs Erster Teil, welcher die vollkommene Büttner- oder Küferlehre nebst Aufgaben für Weinhändler, Kellner ingleichen für Wein- und Bieressigsieder, Brandwein- und Liquerbrenner enthält … mit 38 Kupfertafeln. Des Kunst- und Handwerksbuchs zweyter Theil von der Orgelbaukunst… »Der vollkommene Orgelmacher oder Lehre von der Orgel und Windprobe, der Reparatur und Stimmung der Orgeln und anderer Saiten-Instrumente« von Johann Heinrich Zang. Mit zwey Kupfertafeln, Nürnberg … Adam Gottlieb Schneider und Weigel 1804. Fundort: Würzburger Privatbesitz. – 3. Auflage: »Die vollkommene Büttner- oder Küferlehre«. Dritte Auflage von einem praktischen Technologen durchaus verbessert und vermehrt. Mit 38 Kupfertafeln, Frankfurt am Main in der Jägerschen Buch-, Papier- und Landkartenhandlung, ohne Jahr; (jedoch nach 1813 oder später). Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg Sign. 8° V. 3365.)). Aus der Vorrede zur zweiten Auflage erfahren wir noch, daß Zang ein Werkchen, »Die Kunst Mosaische oder Musivbilder von puren Naturalien aus den drey Reichen der Natur zu verfertigen, für Maler, Schreiner, Zeichner, Zimmerleute und Maurer, mit 18 Zeichnungen«, geschrieben hat.((Das Mainfränkische Museum hatte vor kurzem das Glück, aus Würzburger Privatbesitz zwei signierte Musivgemälde Zangs zu erwerben. Es handelt sich um Stücke aus einem Cyclus von Monatsbildern, und zwar um die Darstellung des Monats Oktober (Sign. S. 49 309), datiert 15. Oct. 99, und des Dezembers (S. 49 308), datiert 9. Mai 1801, Größe ca. 61,5 x 47,5 cm. Über die sogenannten Musivbilder vgl. u.a. F. G. Benkert: »Joseph Bonavita Blanks Beschreibung seiner Musivgemälde«, 2. Ausgabe, Würzburg 1820.)) Zang hat sich auch selbst in dieser Kunst versucht und dabei Beachtliches geleistet. Ein weiteres Werkchen wurde von ihm verfaßt, »für Holz- und Metallarbeiter, in gleichem für Gerber, Färber und andere Künstler bestimmt, mit 21 Kupfern«. Auch als Komponist ist Zang in Mainstockheim hervorgetreten. Es werden von ihm verschiedene musikalische Werke erwähnt, u. a. »Die singende Muse am Main« mit Melodien. Leider konnte ich von diesen Veröffentlichungen keine Exemplare nachweisen.((Mit der Bedeutung Zangs auf dem Gebiet der Musik befaßt sich zur Zeit Professor Dr. Johannes Heinrich, Pädagogiche Hochschule Westphalen-Lippe; seine Biographie Zangs wird in der Enzyklopädie »Die Musik in Geschichte und Gegenwart«, die in Lieferungen im Bärenreiter-Verlag, Kassel, erscheint, veröffentlicht. Über Zang als Musiker und Komponist finden sich schon Notizen in Robert Eitner: »Biographisch-Bibilographisches Quellen-Lexikon der Musiker und Musikgelehrten«, 9. Bd., Leipzig 1903, S. 325; und in Riemanns »Musik-Lexikon«, 12. Auflage, herausgegeben von Willibald Gurlitt, Mainz 1961, S. 959/60. Ich danke auch an dieser Stelle Herrn Prof. Dr. Heinrich für seine Hinweise und den bereitwilligen Austausch der Forschungsergebnisse.))
Johann Heinrich Zang starb am 18. August 1811 im 79. Lebensjahr, nach Meusel((Johann Georg Meusel: Das gelehrte Teutschland, Lemgo 1827, Bd. 16, S. 296/297 und Bd. 21, S. 753 und Teutsches Künstlerlexikon, Lemgo 1808-14, Bd. 3, S. 575/576.)) im Juliusspital zu Würzburg.
Abdruck aus Dr. Walter M. Brod, Fränkische Schreibmeister und Schriftkünstler, Mainfränkische Hefte, Heft 51, Würzburg 1968 mit freundlicher Genehmigung des Verfassers