Ein schlichtes Seccorezitativ bildet die Brücke zum Schlusschor. Die Singstimme beginnt in der bequemen Mittellage, dem hörenden Ohr nahelegend, dass man mit dem Gesprächspartner vertraut ist. Nur die Ortsbestimmung „hier“ wird als höchster Ton etwas hervorgehoben. Während die Singstimme deklamiert:
„Wir kommen hier zu deinem Grabe“,
erklingen im Continuo drei ruhige, behutsame Schritte im Halbenoten-Wert. Und sie erklingen in G-Dur. Und sie stellen genau den G-Dur-Dreiklang dar, mit dem der Ostertriumph im 1. Satz eröffnet wurde:
Der Sänger selbst beginnt mit diesem Dreiklang, nur leicht variiert, in der Folge h-d-g. Darin liegt der Grund für die Vertrautheit beim Hören. Im Rezitativ Nr. 4 spricht jemand, der sich mit der himmlischen Botschaft des Engels aus Satz 1 vertraut gemacht hat, er spricht – jedenfalls auch – diese Sprache, er stimmt ein in das Lied des Lammes. Dass in dem Bild des Lammes aber nicht nur der Sieg mitgedacht wird, sondern auch das Leid, das macht Zang in diesem Rezitativ mit mehreren Mitteln deutlich:
1) Der Schluss des Satzes endet in der affektgeladenen Tonart h-moll, wobei in Takt 11 auf dem Wort „Sterben“ zwischen Continuo und Singstimme der hässliche, kompositorisch geächtete „Tritonus“-Akkord e-ais erklingt.
2) Von Takt 5 – 6 schreibt Zang eine chromatische Halbtonkette, die damals als „passus duriusculus“, als „harter Gang“ bezeichnet wurde. Im Text ist von der Gabe der Liebe und der Morgengabe des Glaubens die Rede, die also nach der Meinung Zangs für die Christen manchmal ein „harter Gang“ sind. Verblüffend ist, dass dieser „passus duriusculus“ ein Zitat aus dem Rezitativ Nr. 2 darstellt, wo damit, wie ich meine, in anderer Zielrichtung, die Verwandlung von Mi in Fa erreicht wird.
3) Da Zang dem Stück, obwohl es in G-Dur beginnt und in h-moll endet, keine Kreuzvorzeichnung am Anfang gegeben hat, ist es interessant zu verfolgen, zu welchen Textsilben der Komponist die entsprechenden Noten der Singstimme direkt mit Kreuzvorzeichen ausstattet. Dass dem musikalischen Kreuzzeichen ein theologischer Symbolwert zugemessen wurde, davon können wir für die Zeit Zangs ausgehen. Die Worte, denen Zang Noten mit Kreuzvorzeichen zugeordnet hat, sind unterstrichen.
Wir kommen hier zu deinem Grabe,
vergrabe du, was uns betrübt.
Die Spezerei, die unsre Liebe gibt
und unsres Glaubens Morgengabe
ist unser Herz und unsre Treu.
Nun wollen wir dir leben und dir sterben,
weil du, Herr Jesu Christ,
für uns gestorben bist
und uns im Sterben
läßt das Leben erben.
Im Johannesevangelium bezeichnet das Kreuz Jesu seine Erhöhung, wie das musikalische Kreuzzeichen ein Erhöhungszeichen ist. Hinter der Erhöhung verbirgt sich sowohl die schreckliche Qual der Kreuzigung wie die Herrschaft Christi als Sieger und Heilsmittler. Es ist schon beeindruckend, wie Zang in diesem Rezitativ die Ambivalenz des Kreuzgedankens, die jeder Christ an sich erfährt, musikalisch sinnbildhaft dokumentiert.