Bevor wir uns dem Schlusschor des Ostertriumphes zuwenden, wollen wir einer Auffälligkeit innewerden:
Der Auffälligkeit, dass Zang die Sätze 1 – 4 nur für jeweils eine solistische Singstimme geschrieben hat und dabei sogar in der Nr. 1 auf den üblichen Eingangschor verzichtet hat.
Die Vorgehensweise des Komponisten lässt sich meines Erachtens nur dadurch erklären, dass Zang aus den Ostergeschichten des Neuen Testamentes die richtigen Schlüsse gezogen hat. Dort begegnet ja der Auferstandene zunächst nur einzelnen Personen, Maria aus Magdala (Mk. 169; Joh. 20), den beiden Jüngern auf dem Weg nach Emmaus (Lk. 24), Petrus (1. Kor. 155) und nachträglich dem Jünger Thomas (Joh. 20) sowie dem Apostel Paulus (Apg. 9; 1. Kor. 158).
Mit anderen Worten: Das Erkennen und Erfassen der Osterbotschaft vollzieht sich mit Vorliebe in einem persönlichen, intimen Rahmen. Nicht um allgemeine Evidenz scheint es dem Auferstandenen in erster Linie zu gehen, sondern um persönliche Beziehung und Erfahrung – und um das persönliche Bezeugen derer, die die Osterbotschaft, nachdem sie ihr begegnet sind, zu den Menschen tragen.
Bei aller individueller Erfahrung, bei aller individueller Verkündigung des Osterevangeliums, bleibt es sein Ziel, dass die Gemeinde als Ganzes sich diese Botschaft sagen lässt und zu eigen macht, indem sie dem Lamm, das zum Löwen wurde, durch das Dunkel des Todes in das sonnige Licht des Sieges folgt.
Die Aneignung des von einzelnen verkündigten „Ostertriumphes“ durch die Gemeinde ist das Thema des letzten Satzes von Zangs Kantate. Eine einzelne Stimme beginnt mit dem Bekenntnis, das Zang in übergroßen Lettern in seine Partitur eingetragen hat:
„Christus lebt, so leben wir“!
Zang aber formuliert das Thema des Chorsoprans so, dass es auf der Dominante, als offene, unfertige Aussage, innehält und nicht für sich alleine stehen kann. Das Thema muss vom gesamten Chor und den Instrumenten zu Ende, zu seinem Ziel gebracht werden:
Erst da, wo aus dem Bekenntnis des Einzelnen das Bekenntnis der ganzen Gemeinde wird, kommt das Ostergeschehen zu seiner Erfüllung!
Die darüber hinaus in den Takten 13 – 15 und 17 – 19 imitatorische Satzstruktur, in der der Sopran jeweils als Vorsänger agiert, ist sicherlich von der Textzeile der 2. Strophe inspiriert:
„Folgt nur nach, er geht uns für“.
Bemerkenswert ist der an diesen Stellen extrem hoch, bis zum zweigestrichenen h bzw. a geführte Sopran, eine Stelle, die zumindest den Sängerinnen und Sängern die Erfahrung vermittelt, dass Christus nicht ohne Anstrengung nachgefolgt werden kann.
In seiner Vollstimmigkeit mit Pauken und Trompeten, in der Tonart D-Dur komponiert, verknüpft Zang instrumental den Schlusschor mit der Arie Nr. 3. Damit verdeutlicht der Komponist:
Der auferstandene, lebendige Christus ist niemand anders als das „Lamm, das nun ein Löwe wurde“ (vgl. das zu Satz 3 hinführende Rezitativ Nr. 2), ist der Held, der für uns streitet, der der christlichen Gemeinde als ihr Herr an seinem Sieg Anteil gibt und als Richter wiederkommen wird. Die Fülle christologischer Gedanken wird im Schlusschor musikalisch zusammengefasst und auf die christliche Lebensführung (Nachfolge!) ausgeweitet. Um aber auf jeden Fall einer irgendwie gearteten „Werkgerechtigkeit“ zu entgehen, benutzt Zang die Verheißung „Christus lebt“, wie schon erwähnt, als Rondo, also als Rahmen, der – gut lutherisch – die ethische Anweisung zur Nachfolge mit der Zusage des lebendigen Christus umschließt. Außerdem bekräftigt er diese Verheißung im Schlussteil durch ein kurzes Nachspiel aus 7 Tönen.
In meinem Aufsatz über die textlichen Grundlagen des Ostertriumphes hatte ich von der beeindruckenden theologischen, vor allem aber seelsorgerlichen Leistung des Textdichters gesprochen. Dem steht – sofern es sich nicht sowieso um denselben Verfasser handelt – der Komponist, wie wir sahen, um nichts nach. Text und Musik sagen im Ostertriumph gemeinsames, jedoch ergänzen sie einander oft: Was der Text schon sagt, muss die Musik nicht in jedem Fall auch noch ausschließlich betonen. Sie kann das Gesagte stattdessen in größere Zusammenhänge stellen und kommentieren.
Ein besonders schönes Beispiel bietet der Schlusschor: Im Mittelteil (!) spricht der Text (Vers 2) vor der ethischen Anweisung zur Nachfolge von ihrer Ermöglichung, nämlich:
„Er wird uns ein ander Leben nach dem Tode wieder geben.“
Ein guter lutherischer Komponist, der ein Menschenkenner ist, weiß, dass es für alles, was Gott von den Menschen erwartet, zuerst einer vorausgehenden Ermöglichung durch Gott bedarf.
Was sonst hat der lutherische Komponist Zang schon vor dem Schlusschor getan, als den ganzen Ostertriumph hindurch musikalisch von dieser Ermöglichung durch die Verheißung eines anderen Lebens zu erzählen?
Warum sonst hätte er das Flageolet eingesetzt und „Mi in Fa verwandelt“?
Schon in den Armenbibeln begegnen uns alttestamentliche Geschichten als „Typos“, Vorbild, Muster für weitergehende Gedanken und Sachverhalte. In der Handschrift werden der Samson-Erzählung noch die Geschichte von David und Goliath und die Illustration von 1. Petr. 3, 18-22 an die Seite gestellt: Christus befreit die Seelen aus der Unterwelt.