6. ZANGs Orgel
Im § 25, bei der Besprechung der Orgelregister, findet sich eine längere Anmerkung zu den Mixturen. Sie ist interessant, weil sie Rückschlüsse auf ZANGs persönlichen Geschmack zulässt, so provokativ formuliert, dass sie heute noch Anstoß erregt, und im ganzen gesehen die „modernste“, schon auf die romantische Orgel verweisende Passage. Sie beginnt mit mit einer säuberlichen Analyse der Töne, die bei einem gewöhnlichen C-dur-Dreiklang erklingen, wenn eine Mixtur gezogen wurde:
Der Klavis C hat: c e g c e g c
Der Klavis e hat: e gl. h e gl. h. e.
Der Klavis g hat: g h d g h d g.
Nun bemerke man, daß auf diesen einzigen Griff folgende Töne: c d e g gis h und zwar noch verstärkt, doppelt, zu Gehöre kommen; was das wohl für eine Harmonie, für ein musikalisches Ohr seyn | mag?((S. 120 f. Es folgen noch krassere Beispiele: Sekundakkord zu c hat c cis d e fis g a ais, Septakkord auf c hat c d e f fis g gis a b h.))
Der heutige Leser und Orgelfreund wird erschreckt einwenden, dass so ja in Wirklichkeit niemand hört. Er wird darauf verweisen, dass die zusätzlichen Töne dazu dienen, den Klang zu färben, dass es aber nur bei besonders böswilliger Anstrengung möglich ist, den von ZANG konstruierten kakophonen Akkord zu hören. Mixturen, Zimbeln usw. firmieren heute unter der Rubrik „Klangkronen“((so ADLUNG 1972)), ausschließlich als Farben. Diesen Einwand gab es natürlich auch schon zu ZANGs Zeiten:
Die Antwort höre ich schon, man wird sagen: die tiefen stärkern Register verdrängen unter dem Geräusch diesen Mislaut, daß man ihn nicht höre, es sey von Alters her, so eingeführt, es müsse doch klingen. Allein dieser Einwurf widerlegt sich von selbst, nemlich es klingt nicht. Unsere Vorfahrer haben zwar die Ehre dieser Erfindung, die aber wie bey vielen andern Sachen, eine Verbesserung nöthig haben. Wenn denn in dem Geräusch dieses unerträgliche Geschwirre von den stärkern Registern verdrängt wird, daß man den Mißlaut nicht hört, so ist er ja auch gar nicht nöthig.
ZANGs Abhilfe sind „Mixturen“, die nur noch Oktaven enthalten, aber keine Quinten und Terzen mehr. „Wenn ja noch ein Freund von Quinten vorhanden wäre (welche gleichwohl im vordersten Verbote bey der Composition mit stehen), so möge er, wohl noch eine Quinte zu 2 ½ Fuß hinein bringen“, das scheint an dieser Stelle der letzte noch mögliche Kompromiss. Unter Nr. 64.) des Abschnittes über die Register heißt es aber, 6- und 12-füßige Quinten (wer würde so etwas bauen, wenn nicht für akustische 16- und 32-Füße?) seien „zugespitzt wegen ihren vielen Schreyen“, und nach Verweis auf die Mixtur-Anmerkung zitiert ZANG aus DE CHALES „Cursus seu mundus mathematicus“: „musici dicuntur quintam accipere, dum irascuntur“((S. 126. ZANG zitiert, wohl aus dem Gedächtnis oder aus zweiter Hand, diese Bemerkung aus DE CHALES großem Mathematik-Werk „Cursus seu mundus mathematicus“ (Bd. III, S. 20), die sich dort allerdings nicht auf gemischte Register, sondern auf das Stimmen von Quinten bezieht: „Quia Tyrones anguntur maxime, ut clavicymbala ad concordiam adducant, eo quod non ita facile dijudicere possint, an duae chordae in quinta conveniant, hoc enim aures doctas requirit, unde dicuntur musici quintam accipere, cum subirascuntur, eo quod quinta saepe ipsis bilem moveat, ieo methodum excogitavi facillimam, ut quicumque de unisono, & de octava iudicium ferre poterit, clavicymbalum ad concordiam facillime adducet“, zu deutsch: „Weil die Anfänger in größte Bedrängnis geraten, wenn sie Cembali stimmen sollen, dadurch, daß es ihnen schwerfällt, zu entscheiden, ob zwei Saiten in einer Quinte zusammenklingen – dazu braucht man nämlich ein gut ausgebildetes Gehör -, weswegen man sagt, die Musiker akzeptierten eine Quinte nur im Zorn, da nämlich die Quinte oft ihre Galle anregt, deshalb also habe ich ein Verfahren ersonnen, das so leicht ist, daß ein jeder, der entscheiden kann, ob ein Einklang oder eine Oktave rein sind, ein Cembalo damit ohne Mühe stimmen wird.“)). Und die Terzen bekommen auch noch anderswo ihre Verdammung ab, so in 85.) Terzia oder 87.) Sesquialtera: „ist eine bloße dezima, ohne noch eine Stimme bey sich zu haben, da in andern Orgeln noch mehrere Stimmen dabey sind. Ich wünsche dieser das Glück wie den Terzen und Quinten in den Mixturen No. 53.“((S. 128)). Dort führt ZANG seine Philippika gegen die Mixturen mit einem prophetischen Ausblick fort:
… bis unter den 2, 4, 8, 16 und 32 füßigen Registern mit den 2 ½, 3 und 6 füßigen, wie auch mit den Terzen, Sexten, Sesquialtern, Dezimen, Duodezimen etc. eine endliche Revolution erfolgt, dabey ich immer glaube, die erstern, als die stärkern mögten, da sie die Oberherrschaft haben, die letztern aus dem Orgelreich verbannen.
Man bedenke, dass die Französische Revolution noch nicht allzu lange vorbei war, und erfreue sich an der Vorstellung, wie der 4. Stand (die Grundstimmen und Oktaven) die Aristokraten (Mixturen und Aliquoten) aus der Orgel wirft. Die Umwälzung im Orgelbau, die ZANG prophezeit, hätte als Ergebnis in der Tat die romantische Orgel mit vielen Grundstimmen, dicken und auch säuselnden 16-Füßen und als Aufhellung und Farbe nur noch Oktav, Superoktav und Zungenstimmen. Sie ist auch so eingetreten, nur nicht in Form einer Revolution, sondern allmählich und regional unterschiedlich.
Aber kehren wir zurück zu dem von ZANG zitierten Problem der dissonanten Klänge. Wenn ein Mixturregister einem C-dur-Dreiklang ein gis (als Terz zum E) hinzufügt, so ist das für ZANG zunächst einmal eine unerträgliche Dissonanz. Sie wird nur dann erträglich gemacht, wenn sie durch ausreichend starke Grundstimmen „gedeckt“ ist (so heißt das noch lange nach ZANG, auch noch heute). Sie ist und bleibt aber ein störender Einfluss, der quantitativ beschränkt, minimiert werden muss. Das heutige Konzept ist ganz anders: Wir sind gewohnt, Klänge theoretisch als Spektren von Obertönen aufzufassen((besonders unbefangen, als hätte es die alten Probleme nie gegeben, z.B. MICHEL 1969: „… Die Aliquote (Obertonregister und Farbmixturen) … sind Auszüge aus der sogenannten Obertonreihe, die dem Organisten gestatten, den Klang nach seinen Vorstellungen zu färben. Sie bestehen aus Quinten, Terzen, Septimen, Nonen sowie aus nichtrepetierenden Aliquot- oder Farbmixturen wie Terzian, Sesquialtera, Kornett, Septimenkornett, Zimbel u.a. …“ (S. 16 f.) )). Das von der Mixtur beigesteuerte gis ist zwar mit separater Pfeife physisch vorhanden, aber wir fassen es statt als dissonanten Ton einfach als Oberton des Dreiklangs-E auf, als Klangformante, nicht als eigenen Ton. Auch das ist eine Art Versteck, und die Regel, dass eine Mixtur „gedeckt“ sein muss, gilt natürlich auch fort: der Grundton (E) muss kräftig genug sein, damit Ohr und Gehirn bei der Zuordnung des gis zur Obertonreihe keine Mühe haben. Im modernen Konzept bewirkt aber ein Ton als Oberton etwas, er ändert nämlich den Klang. Nach ZANGs Auffassung konnte man ihn dagegen im besten Fall übertönen, wodurch er natürlich überflüssig wurde. Zum ergötzlichen Beleg sei noch ein Abschnitt aus Kap. 26, das vom richtigen Registrieren handelt, zitiert:
25.) von den Registern der Secundarien, als der Terzen, Quinten, Mixturen, Coppeln, Cornetten, Cymbeln, Dezimen, Rauschpfeifen, Scharf, Sesquialtern, Terzianen ist zu merken, daß solche nie allein ohne Untersatz, einer oder mehrerer Primarien z.B. 4 und 8 füßiger Register gebraucht werden, damit jene von diesen, nach dem Ausspruch unserer lieben Alten, gedeckt werden, das heißt, hinter die Hecke gesteckt, damit man sie nicht siehet, oder vielmehr nicht höret.
Man will also haben daß man sie verstecke, und man muß sie versteken, damit man ihr abscheuliches Geschrey nicht höret. Wenn | man sie also, nach der alten Regel, verstecken muß, daß man sie nicht hören soll, so sind sie ja auch nichts nütze, und wäre besser, es wären statt derselben andere da, die man nicht verstecken darf, und die ihr Amt mit Freuden thun und nicht mit Seufzen, wie schon in Nr. 53 § 24 gesagt ist.((S. 146 f.))
Aber ist es wirklich gerechtfertigt, ZANG als einen (womöglich nahen) Vorläufer der romantischen Orgel aufzufassen?((„… bezeichnend für das Klangideal der Orgel um die Jahrhundertwende: Zang bevorzugt grundtönige Stimmen, lehnt Quint- und Terzchöre ab, auch in zusammengesetzten Stimmen, gibt das Werkprinzip weitgehend auf und disponiert das Pedal ausschließlich als Baßklavier“ (Johannes HEINRICH im MGG, Artikel ZANG) )) Dazu genügt es natürlich nicht, seine galligen Bemerkungen über gemischte Stimmen zu zitieren, man muss sich schon auch seine Dispositionen ansehen. Deren gibt es zwei: eine im § 2, wo im Kontext der Vertragschließung eine Orgel genau beschrieben wird, sodann eine im § 26, die der vorgenannten recht ähnlich ist und als Ausgangsbasis für die Darlegungen zum richtigen Registrieren genommen wird. Dazu kommen im Anhang noch einige Orgeldispositionen, die aber nicht von ZANG sind. Ich stelle die beiden ZANGschen Dispositionen gegenüber und füge zum Vergleich noch ZANGs Orgel in Mainstockheim hinzu (wie sie damals mutmaßlich disponiert gewesen ist)((nach SELZER 1972)):
ZANG § 2
Hauptmanual
Prinzipal 8
Oktava 4
Oktava 2
Quinte 3
Mixtur 2 5fach
Cornett 4 4fach
Quintatön 8
Hohlflöte 4
Gedackt 8
Viola da Gamba 8
Trompete 8
Gemshorn 4
Nasat 3
Vox Humana 8
ZANG § 26
Hauptwerk
Prinzipal 8
Oktava 4
Superoktav 2
Quinte 2 ½
Mixtur 4 4fach
Quintatön 8
Flauta 4
Gedackt 8
Viol d’amour 8
Trompete 8
Mainstockheim
Manual
Prinzipal 8
Oktav 4
Superoktav 2
Quinte 3
Mixtur 1 ½ 3fach
Sesquialtera
Blockflöte 4
Großgedackt 8
Viola da Gamba 8
Salizional 8
Obermanual
Prinzipal 4
Oktav 2
Quinte 1 ½
Mixtur 2 3fach
Salizional 8
Fl. traverso 8
Oboe 8
Spitzflöte 4
Flageolet 2
Krummhorn 8
Positiv
Prinzipal 4
Oktav 2
Quinte 1 ½
Mixtur 2 5fach
Vox Humana 8
Gamba 8
Fl. traverso 8
Nasat 2 ½
Rankett 8
Pedal
Posaunbaß 16
Violonbaß 16
Bombard 16 oder 8
Flötenbaß 8
Oktavbaß 8
Fagottbaß 8
Pedal
Posaunbaß 16
Violonbaß 16
Oktavbaß 8
Bordun 8
Fagottbaß 8
Pedal
Posaunbaß 8((so das Gutachten Johannes Hoffmanns von 1730, im Bauauftrag war das Register 16füßig (SELZER 1972) ))
Violonbaß 8
Subbaß 16
Sonstiges
Koppeln
Sperrventile
Kalkantenzug
Auch wenn man annehmen darf, dass ZANG den Leser des Buches (es ist an Kirchenvorstände zu denken) nicht durch eine besonders extravagante Disposition verprellen, sondern etwas „solides“ vorstellen wollte, kann man in der in Spalte 1 aufgeführten Disposition wohl doch die von ZANGs Wünschen sehen. Natürlich ist sie weit größer als die Mainstockheimer Orgel; insbesondere konnte ein musikalisch ambitionierter Organist wie ZANG (was die erhaltenen Kantaten zeigen) eigentlich nicht auf ein zweites Manual verzichten, so gönnt er es sich wenigstens im Orgelmacherbuch. Vor allem aber fällt auf, dass die gemischten Register ganz selbstverständlich mit aufgezählt werden, eine 5fache Mixtur und sogar ein Cornett sind dabei, deren viele Pfeifen ein Abbe VOGLER schon längst entnommen und zu andern Registern umgearbeitet hätte, „die ihr Amt mit Freuden thun“.((VOGLERs Simplifications-System war zu ZANGs Zeit die eigentliche Revolution im Orgelbau. 1805 wurde von VOGLER die Orgel von St. Peter in Salzburg umgebaut. Dabei wurden gemischte Register konsequent aufgelöst und zu einfachen Aliquoten umgebaut. Die Zahl der Pfeifen wurde drastisch vermindert (vgl. SPIESS 1940).)) Die oben zitierten Verwünschungen dieser Register schlagen also auf die Disposition nicht durch. Zweitens finden sich ausdrückliche Bezüge auf das barocke Werkprinzip: „Das Hauptmanual wird durch alle Register weiter Mensur, damit es pompose gehet. … Die Register des oberen Manuals werden alle enger Mensur, und also lieblich und streichend gemacht.“((S. 9)) Bei G. SILBERMANN 100 Jahre früher heißt es((Kontraktentwurf der Freiberger Domorgel (zitiert nach RIEMANN, Art. Orgel) )): „Das Hauptmanual soll einen gravitätischen Klang bekommen, das Oberwerk scharf und etwas spitzig, das Brustwerk recht delikat und lieblich sein.“ ZANG klingt hier noch ganz ähnlich, ganz barock oder doch fast. Der Unterschied liegt nicht beim Werkprinzip, sondern bei der Ausgestaltung. „Scharfe und etwas spitzige“ Klänge sind nicht mehr gefragt als Kontrast zum Prinzipalklang, sondern nur noch die lieblichen und streichenden. Darin kann man einen Schritt hin zur Romantik sehen, aber es ist noch weit dorthin. Nirgends ist die Rede von der Nachahmung der Orchesterinstrumente oder gar von Crescendofähigkeit.
Am ehesten „unbarock“ ist noch die karge Ausstattung des Pedals. Hier finden sich in der Tat nur Grundstimmen, und man kann darin den Übergang zum „Baßklavier“ sehen. Man muss aber auch beachten, welchen Wert ZANG auf die Kopplungsmöglichkeiten legt; im § 15 über die Kanzellen wird ausführlich diskutiert, dass die Pedale eigene Kanzellen an den Manualladen haben müssen, damit der Organist durch die Kopplung nicht beim Spielen behindert wird((Ziffer 2.) S. 73 f.)). ZANG rechnet also damit, dass über Koppeln dem Pedal mehr Register zugänglich sind als in der Disposition als Pedalregister aufgeführt sind. Die grundtönige Ausstattung des Pedals selbst kann man auch mit Sparsamkeit erklären.
ZANGs Orgel der Dispositionen ist demnach vielleicht ein bisschen grundtöniger als eine SILBERMANNsche und gewiss nicht „scharf“, aber doch eher noch eine Barockorgel als eine romantische. Das passt auch besser zur Musik seiner Kantaten.
Es ergibt sich demnach ein Widerspruch zwischen den Ausführungen zu einzelnen Orgelregistern und den Dispositionen, die die verworfenen Register doch enthalten. Er lässt sich auch nicht einfach auflösen. Bei der Lektüre hat man an einigen Stellen den Eindruck, dass ZANG sich mitunter von der eigenen Rhetorik mitreißen lässt und seinen persönlichen Geschmack mehr herausstellt, als er das eigentlich wollte, während er an andern Stellen auch andere Auffassungen leben lässt.